Verbot des Singvereins 1844 Neckarbischofsheim
von Hans-Joachim Vogt
Am 24. November 1849, abends 19.00 Uhr geschah etwas Unerhörtes! Die zu diesem Ereignis gehörige Akte beim ehemaligen Bezirksamt Neckarbischofsheim trägt die Bezeichnung: "Das gesetzeswidrige Verhalten des Singvereins betreffend."1 Was war geschehen? Im Gefolge der Revolution wurden im Jahre 1848 alle öffentlichen Versammlungen und Vereine, insbesondere auch Gesangvereine, verboten. Allerdings beachtete die Bevölkerung das Verbot nur wenig. Ursache waren Aufstände im ganzen Großherzogthum, die sogenannte Märzrevolution. Auch in Neckarbischofsheim hatte es am 4. März 1848 Unruhen gegeben, die sich vor allem gegen die jüdische Bevölkerung richteten. Am 6. März ging man sogar soweit, Zugeständnisse der Grafen zu erpressen. In der heißen Phase der Revolution floh der Großherzog und kehrte erst nach eingreifen Preußischer Soldaten im Juli 1849 zurück. Die Behörden und ihre Vertreter waren also noch sehr nervös. Doch das ist eine andere Geschichte. Am 24. November 1849 abends, machten Stationskommandant Reinhard mit Gendarm Schötterer und Polizeidiener Albrecht ihre Runde durch das Städtchen. Dabei hörten sie aus dem unbewohnten Schulhaus Gesänge. Sie betraten das Gebäude und fanden dort den Singverein mit seinem Vorstand Lehrer Müller bei einer Gesangsprobe. Auf die Frage des Kommandanten, wer denn die Versammlung genehmigt hätte, gibt es in den Vernehmungsprotokollen unterschiedliche Versionen. Auf alle Fälle löste er die Versammlung auf und erstattete am nächsten Tag beim Bezirksamt "dienstgeziemende" Anzeige. In der Anzeige erfahren wir auch die Namen von 17 Personen die dabei waren. Darunter so bekannte Familiennamen, wie Arnold, Ruppert, Auderer, Gangnuß, Berner und Schiek. Weiter Anwesende konnten mit Namen nicht angegeben werden. Was nun folgte war "normales" Verwaltungshandeln. Vom Oberamtmann Philipp Benitz, dem Vorsteher des Bezirksamts wurden Hauptlehrer Müller sowie Schumacher Schneider, Maurermeister Ruppert und Bäcker Graulich als Vertreter des Vereins zum Verhör vorgeladen. Nachdem aus den Verhören hervorging, dass der Verein im Auftrag der Kirche geprobt hatte, wurden auch noch die beiden Pfarrer Ahles und Dekan von Langsdorff angehört. Was wir aus den Protokollen erfahren, ist die früheste Geschichte des Singvereins. Seit 1842 gab es Bemühungen, den Kirchengesang durch die Unterstützung eines Chores zu verbessern. Das war insbesondere der Wunsch von Dekan von Langsdorff, der sich zunächst an den ältesten Hauptlehrer Reuscher wandte. Dieser sagte zwar zu, "Er bewies aber so wenig aufrichtige Theilnahme und ernsten Eifer für die Sache", so von Langsdorff, dass man sich an den zweiten Hauptlehrer Fees wandte. Vermutlich wegen der Konkurrenz zu seinem Vorgesetzen Lehrer, wollte Fess zunächst nichts davon wissen. Von Langsdorff gab aber keine Ruhe und fand schließlich die Unterstützung von Fees. Georg Fees war seit 1838 zweiter Hauptlehrer an der Volksschule. Er besaß kein besonderes Musiktalent, aber eine große Liebe und Freunde für den Gesang. Mit großem Fleiß und einer zähen Ausdauer machte er sich an die Arbeit. Die Eheleute Fees wohnten mit ihren zwei Kindern in der Nähe des Gasthauses zum Löwen. Hier im Wohnzimmer der Familie begannen die ersten zaghaften Gesangsversuche. Später durfte man für die Übungsstunden, die überwiegend im Winterhalbjahr abgehalten wurden, den Lehrsaal in der Schule benutzen. Im Sommer hatten alle auf dem Feld zu tun, da war keine Zeit für Gesangsstunden. Offensichtlich hatte Lehrer Fess mit seinen Bemühungen Erfolg, denn in einer Stellungnahme von Bürgermeister Hauck aus dem Jahre 1844 erfahren wir: 1 Generallandesarchiv Karlsruhe 377-7902 und 377-7903 "Der Singverein hat seit seinem Bestehen dahier, sehr viel Gutes gewirkt, der Kirchengesanghat sich bedeutend verbessert, der Gesang unsittlicher Volkslieder hat größten Theils aufgehört" Dem Chor wurde im Gottesdienst ein besonderer Platz eingeräumt und fand in der Gemeinde allgemeinen Anklang. Nur Lehrer Reuscher konnte sich mit der Niederlage, obwohl selbst verschuldet, nicht abfinden. Während der Revolutionszeit 1848 und 1949 traten die Aktivitäten des Singvereins etwas in den Hintergrund. Lehrer Fess meinte dazu: "bei den Stimmen der Zeit seien die Leute nicht mehr recht zusammen zu bringen". Das änderte sich mit der Rückkehr des Großherzogs im August 1849. Im Gottesdienst zur Feier seiner Rückkehr sang der Chor wieder an seinem angestammten Platz. Im gleichen Jahr noch wurde Lehrer Fees versetzt. Als Nachfolger wartete man auf ausdrücklichen Wunsch des Chors auf seinen Nachfolger. Mit Lehrer Reuscher wollte man auf alle Fälle nicht zusammenarbeiten. Der Nachfolger Lehrer Müller übernahm die Chorleitung und kaum hatte er mit den Proben begonnen, kam es zu dem oben beschriebenen Eklat. Die Chormitglieder Ruppert, Schneider und Graulich sprachen in ihrem Verhör deutliche Worte. Sie sahen es als eine "Kinderei" an, die Angelegenheit polizeilich zu verfolgen, da man ja schon eine Woche vorher, ohne Eingreifen der Polizei, geübt habe. Jeder vermutete es, aber keiner getraute sich zu fragen, ob sie von Lehrer Reuscher angeschwärzt worden seien. Auch war man der Meinung, da der Chor nicht "staatsgefährdent" sein, wäre er auch nicht verboten. Pfarrer Ahles wurde noch deutlicher: "Was ist nun aber die Folge dieser gewaltsamen Störung? Neue Unzufriedenheit und wahrlich keine Heilung oder Befestigung der Gemüther; - Störung unseres Kirchengesangs, welcher lange nicht mehr so gut ausfällt seit der Sängerchor auf der Orgel auseinander gesprengt ist." Bei aller zum Ausdruck gebrachter Empörung wussten doch alle, dass man sich auf dünnem Eis bewegte. Denn nicht weniger als das Verbot des Vereins stand auf dem Spiel. Bisher hatte man sich gekonnt um die Klippen der Vorschriften bewegt – durch die Anzeige wurde dies nicht mehr so einfach. Die letzten Worte in der Stellungnahme des Pfarrers erscheinen daher wieder versöhnlicher: "Es wäre mir nie im Traume beigefallen, zu den neulich verbotenen Vereinen, wodurch die Gendarmerie ihr Verfahren begründen will, auch diese zu rechnen. Ich muß desshalb im Interesse des Staates wie der Kirche bitten, die Aufhebung dieses Verbots, das für unseren Kirchengesang doch so hinderlich ist, gefälligst in möglicher Bälde bewirken zu wollen." Nun lag es am Oberamtmann Benitz, eine Entscheidung zu treffen. Doch dieser trückte sich vor der Verantwortung. Einmal war er Leiter des Bezirksamts, dann aber wieder war er seit längerer Zeit in Neckarbischofsheim und in das tägliche Leben eingebunden. Nach Abschluss der Verhöre legte das Bezirksamt am 13. Dezember die Unterlagen der Regierung des Unter-RheinKreises in Mannheim zur Entscheidung vor. Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Chor "bei schlechter Gesinnung" sicherlich nicht im Festgottesdienst anlässlich der Rückkehr des Großherzogs gesungen hätte. Bild des Singvereins aus dem Jahre 1891 Von der Regierung des Unterrheinkreises kamen am 18. Dezember prompt die Antwort und die Akten mit dem Vermerk zurück, "daß man ihm (dem Bezirksamt) überlasse, in der Sache vorerst selbst nach seinem Ermessen zu verfügen." So war denn die Entscheidung quasi schon getroffen. Benitz stellte fest, dass auch der Gesangverein, trotz des Ausschlusses von "politischen Trieben" in den Statuten, zu den verbotenen Vereinen gehöre. Dennoch heißt es weiter: "daß das Bürgermeisteramt mit dem Lehrer für gesetzliche Ordnung und Ruhe haftet, will man gestatten, daß der Sängerchor unter der Leitung des zweiten Hauptlehrers Müller zu bevorstehender kirchlicher Festtage in dem Schullokal dieses Lehrers einige Tage vor dem eintretenden Feste geistliche Lieder einüben dürfe, dabei aber jedesmal die Polizeistunde strenge einzuhalten, und bei dem Weggehen des Lehrers von dem Sängerschor ebenfalls verlassen werden muß. Man wird den Sängerchor strenge überwachen lassen, und bei der geringsten vorkommenden Ungesetzlichkeit denselben nach vorgängiger Untersuchung und Bestrafung gänzlich aufzulösen und jede weitere Zusammenkunft desselben zu zerschlagen. Für Lehrer Müller kam erschwerend hinzu, daß man ihn für alle jene staatsgefährliche Folgen, die durch die Zusammenkunft des Sängerchors etwa entstehen könnten, verantwortlich macht. Die Verfügung schloss mit der Drohung: Man wird den Sängerchor strenge überwachen lassen, um bei der geringsten vorkommenden Ungesetzlichkeit denselben nach vorgängiger Untersuchung und Bestrafung gänzlich aufzulösen und jede weitere Zusammenkunft desselben zu zerschlagen. Dazu kam es glücklicherweise nicht. Im Jahre 1851 wurde der Verein amtlich wieder genehmigt und besteht bis heute fort.